Deutschland verhängt: Einreiseverbot gegen Awni al-Kalemji

Völkerrecht und freie Meinungsäußerung = Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

Im Frühjahr 2006 begab sich Awni al-Kalemji, der Sprecher der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), auf eine Vortrag­stour durch Deutschland, die ihn unter anderen nach Berlin und Hamburg führen sollte. Er war u.a. vom "Deutschen Solidaritätskomitee Freier Irak", einem Bündnis antiimpe­rialistischer Kräfte, das den Widerstand des irakischen Volkes gegen die US‑amerikanische Besat­zung unterstützt, eingeladen worden. Der Verein "Initiativ" aus Duisburg, der im Antiimperialistischen Lager organisiert ist und durch die Kampagne "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand hervorgetreten war, hatte an der Vorbereitung der Veranstal­tungsserie führend Anteil.

Doch die Vorträge in Berlin und Hamburg wurden durch massiven Polizeieinsatz verhindert, Awni al-Kalemji festgenommen und schließlich abgeschoben. Grund: er habe in öffentlichen Stellungnahmen zu strafbaren Handlungen aufge­rufen. Gemeint war damit der irakische Widerstand.

Ein Strafverfahren wegen "Aufforderung zu Straftaten" musste die Staatsanwaltschaft im Mai 2006 einstellen.

Damit waren die staatlichen Repressionen aber nicht beendet. Die Berliner Ausländerbehörde verhängte am 27.9.2006 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot. An der abenteuerlichen Begrün­dung zeigt sich, wie sehr die demokratischen Grundrechte dem Terrorkrieg auf Seiten der USA zum Opfer gebracht werden. Die BRD verfügt als antikommunistischer Frontstaat in Konti­nuität mit dem Nazismus über eine repressive Tradition, die einer, oft auch nur vermeintlichen Systemopposition immer die Grundrechte verweigerte - seien es Antifaschisten, Kommunisten, Kurden oder heute alle möglichen antiimperialistischen Befreiungsbewe­gungen. Das nennt man dann Rechtstaat - und ver­folgt jene, die das anderes sehen.

Gegen Awni al-Kalemji wird der Vorwurf erhoben, dass er mit der politischen Unterstützung des irakischen Widerstands die "öffentliche Sicherheit und Ordnung der BRD beein­rächtigt". Indes wird eingeräumt, dass sich Ka­lemji ausschließlich für "politische Vorstellungen öffentlich betätigte". Es ist also nur die Rede von Meinungsdelikten, nicht von Straftaten im Sinne eines demokratischen Justizsystems.

Der zuständige Beamte ist bei der Rechtfertigung der Einschränkung der politischen Freiheiten zu­gunsten der Staatsraison erstaunlich offen: "Dies [Kalemjis Billigung des Widerstands] beinhaltet eine Beeinträchtigung der Grundinteressen der Gesellschaft, gerade wenn es um auswärtige Belange der BRD geht, hier das Verhältnis zum Irak und den USA." Ganz die Tradition des Bismarckschen Polizeistaates.

Und wenn rationale Argumente nicht mehr in Anschlag gebracht werden können, so wird Kalemji, der Zeit seines Lebens sich als säkularer Nationalist und Marxist bezeichnete, kurzerhand zum radikalen Islamisten gestempelt. Denn in der öffentlichen Meinung wurde der Islam ausreichend zu einem Feindbild gemacht, dessen Ver­folgung man dann nicht näher begründen zu brauchen glaubt. In einer Anhörung hatte al Kalemji den ihm vorgeworfenen Tatbestand nach ' 55 Abs.2 Nr.8a Aufenthaltsgesetz postwendend den USA angelastet:
nämlich Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder terroristi­sche Taten nicht allein nur zu billigen, wie das Gesetz es mit Ausweisung ahndet, sondern fe­derführend zu begehen. Diese politische Argumentation, der in Europa Millionen gefolgt sind und mit Sicherheit von der Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt wird, dient dann als Beweis, dass sich Kalemji "nicht von seiner radikalen isla­mistischen Position abgewandt" hat.

Der Gipfel des Zynismus wird dort erreicht, wo der Einwand, dass das Recht auf freie Meinungs­äußerung beeinträchtigt sei, damit abgetan wird, dass das Aufenthaltsverbot ja nicht für den ge­samten Schengen‑Raum gelte. Meinungsfreiheit ja, aber bitte nicht in Deutschland!

Damit zeigt sich nicht nur ein weiteres Mal, dass sich die BRD völlig im Schlepptau der USA be­findet und sich hinter ihre völkerrechtswidrigen imperialen Kriege stellt. Sondern es wird auch klar, wie verlogen der offizielle Antifaschismus ist. Dem Widerstand gegen den Nationalsozialis­mus wird im Gegensatz zu früher zwar gehul­digt, aber nicht um daraus den Auftrag abzuleiten, gegenwärtige und zukünftige imperialisti­sche Verbrechen zu bekämpfen, sondern im Gegenteil: eben diesen Verbrechen wird auf infame Weise sogar noch ein antifaschistischer, humani­tärer Mantel umgehängt. Dazu wird der Wider­stand gegen das US‑Imperium gerne in die Nähe eines neuen Faschismus gestellt. Und so wie die Nazis ihre Gegner pauschal als Banditen verun­glimpften, so gilt in Euroamerika der aktive Widerstand gegen imperialen Machtanspruch grundsätzlich als terroristisch.

Durch seinen Hamburger Anwalt Heinz Jürgen Schneider hat Awni al Kalemji gegen den Be­scheid Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Mit einem Prozess ist erst 2007 zu rechnen. Die juristische Argumentation geht in zwei Richtungen: Die Maßnahme ist rechtswidrig, weil das Aufenthaltsgesetz nicht verletzt ist. Außerdem verstößt das bezweckte "Redeverbot" gegen die Grundrechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit.

Der "Fall Kalemji" ist ein "Fall BRD". Auch gegenüber anderen Politikern oder Organisationen wird jetzt mit Visa-Ablehnungen ein Auftreten in Deutschland verhindert. Würde die Einreiseverweigerung rechtskräftig, besteht deshalb ein Präzedenzfall für viele unerwünschte Meinungen.

Initiativ e.V. (Duisburg)
Antiimperialistische Koordination (Wien)
Deutsches Solidaritätskomitee Freier Irak
Vereinigung Für Internationale Solidarität e.V.

» zurück